Interviews
In dieser Rubrik präsentieren wir Interviews mit Persönlichkeiten und herausragenden Menschen in der Welt der Schmetterlinge.
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Fotograf und Filmgestalter Phil Dänzer: Take off - Schmetterlinge im Flug
Bis zum 20. März 2016 zeigt das Papiliorama Kerzers in der Schweiz die spektakuläre Fotoausstellung Take off -Schmetterlinge im Flug mit ganz besonderen Fotos des Schweizer Fotografen und Filmgestalters Phil Dänzer. Anlässlich dieser Ausstellung ist das folgende Interview entstanden, das ganz erstaunliche Einblicke in das aufwendige über mehrere Jahre laufende Projekt zeigt.
Interview
Wie lange arbeiten Sie schon als Fotograf und welche Schwerpunkte haben Sie bei Ihrem fotografischen Wirken?
Beruflich bin ich seit 40 Jahren fotografisch tätig. Während 35 Jahren realisierte ich audiovisuelle Produktionen, Filme und Tonbildschauen. Seit der Erreichung des Rentenalters vor fünf Jahren konzentriere ich mich weitgehend auf die Fotografie. Wenn ich nicht im Auftrag arbeite, sondern Fotomotive frei wählen kann, habe ich mich seit jeher vorrangig mit Bewegungsstudien befasst. Früher standen Tanz und Sport im Mittelpunkt meines Interesses. Mit fortschreitendem Alter ist der Motivbereich Tiere in Bewegung ins Zentrum meiner fotografischen Arbeit gerückt.
Wie sind Sie auf die Idee gekommen Schmetterlinge im Flug zu fotografieren? Gibt es andere Fotografen, die Ihnen als Vorbild für dieses Projekt dienten?
Als ich im Mai 2011 mit meinem Enkel zum ersten Mal das Papiliorama Kerzers besuchte, war es aufgrund meines Interesses an Bewegungsstudien naheliegend, dass mich die Lust packte, mit der Kamera Schmetterlinge im Flug festzuhalten. Dass dies möglich ist, wusste ich seit anfangs 2006. In der Januar-Ausgabe der Nikon News las ich damals einen Bericht über den französischen Insektenfotografen Ghislain Simard. Dessen Lieblingsmotiv sind fliegende Schmetterlinge. 2008 erschien sein grossartiger Bildband En Vol – Les acrobaties aérienne des papillons. Keine Buchhandlung konnte mir dieses Buch beschaffen. Ich habe es schliesslich 2013 direkt beim Verlag Chasseur d’images in Frankreich bestellt.
Wie können Sie als Fotograf und Nicht-Biologe es einschätzen, was beim Fotografieren von Schmetterlingen von Bedeutung ist?
Da ich bisher nur gelegentlich in der freien Natur Schmetterlinge fotografiert habe, spielte dieses Wissen in meinem Falle nicht die gleich grosse Rolle wie bei "Freilandfotografen". Seit 2011 habe ich aber eine ganze Reihe von Büchern und Filmen über Schmetterlinge angeschafft und auch via Internet viele Informationen über das Leben der Schmetterlinge eingeholt. Die biologisch interessanten Fakten, die meine Fotos zeigen, werden oft erst im Nachhinein von Chantal Derungs, der Biologin des Papilioramas „entdeckt" und beschrieben. Für mich ist die Zusammenarbeit mit ihr natürlich höchst interessant. Das Interesse an der Zusammenarbeit ist zum Glück gegenseitig, denn meine Flugaufnahmen zeigen manchmal Details, die man von blossem Auge gar nicht erkennen kann.
Welche Gründe führten dazu, dass Sie als Fotograf die Schmetterlinge freihand ohne Lichtschranken im Flug fotografieren?
Im Gegensatz zu Ghislain Simard, der Ingenieurwissenschaften studiert hat, bin ich kein Technikfreak. Simard arbeitet mit aufwendigen, selbst gebauten Lichtschranken-Anlagen, die mit mehreren Blitzgeräten gekoppelt sind. Für Simard sind diese Anlagen wichtig, weil er in der freien Natur arbeitet, wo sich nicht so viele Aufnahmegelegenheiten anbieten wie in einem Schmetterlingshaus. Wenn ich einen ganzen Tag lang im Papiliorama auf Fotojagd gehe, habe ich zahlreiche Möglichkeiten, Flugbilder einzufangen. Um die Möglichkeiten tatsächlich nutzen zu können, muss ich mit meiner Kamera auf die jeweilige Situation allerdings sehr schnell und flexibel reagieren. Freihändig geht das am besten. Ein Dreibeinstativ verwende ich höchst selten, zum Beispiel für Experimente mit Mehrfachbelichtungen des gleichen Schmetterlings.
Welche Ausrüstung setzen Sie ein, wenn Sie Schmetterlinge im Flug fotografieren?
Zuerst arbeitete ich mit einer Nikon D3s, seit 3 Jahren mit der Nikon D4. Beides sind professionelle Digitalkameras mit Vollformat-Sensor (Nikon FX-Format). Der Sensor der Nikon D4 hat mehr Pixel, was ein Vorteil ist, wenn man bei der Nachbearbeitung Bildausschnitte macht. Ausschnitte drängen sich auf, weil man fliegende Schmetterlinge nur höchst selten formatfüllend aufnehmen kann. Wenn ich ruhende Schmetterlinge fotografiere, verwende ich oft das Micro Nikkor-Objektiv mit der Festbrennweite 105mm. Für Flugbilder ziehe ich aber eindeutig das Nikkor Zoom-Objektiv 70-200mm vor, mit dem ich beim Cadrieren die Grösse des Umfelds viel schneller anpassen kann. Mit einem Telekonverter x2 erweitere ich die Brennweite oft auf 400mm. Ein Blitzgerät setze ich nur ein, wenn es die Lichtverhältnisse unbedingt erfordern. Natürliches Licht ist viel abwechslungsreicher als Blitzlicht.
Welche Arbeitsweise kommt bei der Fotografie von Schmetterlingen im Flug zum Einsatz?
Ich mache Serien mit 9 Bildern/Sekunde, in der Regel mit Verschlusszeiten von 1/1500 oder 1/2000 Sekunde. Die Kamera würde noch viel kürzere Verschlusszeiten zulassen, aber ohne Blitz wird die Belichtung dann zu knapp oder man ist gezwungen, sehr hohe ISO-Werte einzustellen. Das ist der Qualität sehr abträglich. Höher als ISO 1600 gehe ich fast nie. Um scharfe Flugbilder zu erhalten, setze ich den kontinuierlichen Autofokus ein. Man braucht bei fliegenden Faltern aber viel Routine, um dieses geniale Instrument moderner Kameratechnik mit Erfolg einzusetzen. Weil Schmetterlinge klein sind, ist die Arbeit mit dem kontinuierliche Autofokus bei ihnen viel schwieriger als beispielsweise bei grossen Wasservögeln. Bevor der kontinuierliche Autofokus korrekt arbeiten kann, muss man ihm "mitteilen", welchen Teil des Motivs er verfolgen soll. Am einfachsten geht das, wenn man auf einen ruhenden Schmetterling fokussiert und wartet, bis er wegfliegt. Weil man oft lange auf den TAKE OFF warten muss, verwende ich hin und wieder ein Bruststativ, das mir hilft, die 3 ½ Kilo schwere Kamera lange Zeit ruhig in "Schussbereitschaft" zu halten und mich hochgradig zu konzentrieren. Reagiert man auf den Abflug, ist es meistens schon zu spät. Am idealsten ist, wenn man einen Bruchteil einer Sekunde vor dem Abheben auslöst. Man muss also eine Fähigkeit entwickeln, den Moment des Abhebens zu antizipieren. Eine andere Situation, die das Arbeiten mit dem kontinuierlichen Autofokus ermöglicht, ist der Balzflug. Der Flug des oder der Männchen um das ruhende Weibchen ist meist ziemlich stationär und erleichtert es, den Autofokus an das richtige Motiv "anzuheften". Schmetterlinge im Vorbeiflug scharf zu fotografieren, gelingt ohne Lichtschranke nur sehr selten.
Wie planen Sie ein Fotoshooting im Papiliorama?
Mit Hilfe der Wetterprognosen wähle ich einen sonnigen Tag aus. Je heller es im Schmetterlingsdom ist, desto besser sind die Voraussetzungen, dass die Aufnahmen gut gelingen. Mit ganz geöffneter Blende ist die Schärfentiefe sehr gering. Kann man die Blende etwas schliessen, steigt die Chance, dass die fliegenden Schmetterlinge scharf abgebildet werden. Bei Sonnenschein sind die Schmetterlinge meist auch viel aktiver. Auf der Hinfahrt mit der Eisenbahn wähle ich anhand von Checklisten die Voreinstellungen an der Kamera aus. Das können bis zu zwanzig Einstellungen sein. Diese sind abhängig von den Zielen, die ich mir für diesen Tag gesetzt habe. Meistens mache ich Highspeed-Fotos mit sehr kurzen Verschlusszeiten. Manchmal mache ich aber auch Versuche mit bewusster Bewegungsunschärfe. Verschlusszeiten, die sich dazu eignen, sind zum Beispiel 1/180 oder 1/350 Sekunde. Bei diesen Experimenten ist die Zahl guter Ergebnisse aber immer extrem klein. Es braucht eine hohe Frustrationstoleranz, um trotzdem weiterzumachen.
Wie bzw. nach welchen Kriterien haben Sie aus der Vielfalt der Aufnahmen, diejenigen ausgewählt, die in der Ausstellung gezeigt werden?
In einem ersten Schritt habe ich selbst aus über 30‘000 Schmetterlingsfotos die 250 Flugbilder ausgewählt, die mir fotografisch am besten gefielen. Im zweiten Schritt hat die Biologin Chantal Derungs jene 47 Aufnahmen selektioniert, die aus ihrem Blickwinkel am interessantesten sind.
Was waren die eindrucksvollsten Momente, die Sie während Ihrer Zeit bei den Schmetterlingen im Schmetterlingshaus in Kerzers erlebten?
An jedem der 22 Aufnahmetage (verteilt über 4 Jahre) gab es ein paar Highlights. Für mich sind das die seltenen Momente, wo alles für eine besonders gute Aufnahme passt: das Licht, der Hintergrund und die Flugaktivitäten der Schmetterlinge. Je schwieriger eine Schmetterlingsart zu fotografieren ist, desto grösser ist natürlich meine Freude und Erregung, wenn doch endlich der Erfolg eintritt. Von weissen Baumnymphen konnte ich fast bei jedem Aufenthalt mehrere gute Flugbilder machen. Meine Bemühungen, blaue Morphos im Flug festzuhalten, blieben aber sehr lange ergebnislos. Dann plötzlich kam die bisher einmalige Chance. In einem versteckten Winkel entdeckte ich blaue Morphos beim Balzflug. Das gab mir die Möglichkeit ein paar schöne Flugbilder dieser spektakulären Falter zu machen. Es wurden bei weitem nicht meine besten Bilder. Aber meine Freude war trotzdem riesig.
Was würden Sie anderen Fotografinnen und Fotografen, die auch Schmetterlinge im Flug fotografieren wollen, mit auf den Weg geben?
Um Flugbilder zu machen, braucht ihr ausser einer leistungsfähigen Kamera nicht unbedingt zusätzliche technische Hilfsmittel. Arbeitet mit einem Minimum an Ausrüstung, um maximal flexibel zu sein. Setzt Blitzlicht nur ein, wenn es anders nicht geht. Und lasst euch von Misserfolgen nicht entmutigen. Es braucht Erfahrung und viel Zeit und Geduld, wenn überdurchschnittlich gute Fotos resultieren sollen. Wenn ihr in der freien Natur fliegende Schmetterlinge fotografieren wollt, ist ein Schmetterlingshaus ein hervorragendes Übungsfeld, um euch die nötige Sicherheit und Routine anzueignen.
Gibt es eine besondere Botschaft, die Sie den Besucherinnen und Besuchern der Ausstellung übermitteln wollen?
Die unfassbar vielfältige Schönheit verschiedener Schmetterlingsarten, ihre Flugkünste und die Metamorphose lösen bei mir immer wieder Staunen und Ehrfurcht vor der Natur aus. Dadurch wird meine Überzeugung gestärkt, dass wir unsere natürliche Umwelt vor der Zerstörung durch menschliche Gedankenlosigkeit und Unersättlichkeit schützen müssen. Ich hoffe, dass meine Fotos ein wenig dazu beitragen, diese Haltung und dieses Denken auch bei anderen Menschen zu fördern. Ein Drittel des Erlöses aus dem Verkauf der Ausstellungsfotos geht an die vom Papiliorama Kerzers mitbegründete Stiftung International Tropical Conservation Foundation, die in Belize (Zentralamerika) ein Naturschutzgebiet unterhält.
Ich danke Phil Dänzer ganz herzlich für das Interview, das erstaunliche Einblicke in sein Projekt "Take-off - Schmetterlinge im Flug" gibt und für die Beantwortung meiner Fragen.
Der Fotograf
Der Fotograf und Filmgestalter Phil Dänzer lebt und arbeitet in Zürich in der Schweiz. Nach dem Studium (Geschichte, deutsche Literatur, Kunstgeschichte) realisierte er zahlreiche international ausgezeichnete dokumentarische Filme und Tonbildschauen (unter anderem bei Condor-Film.) Seit 1984 arbeitet er als selbständiger Produzent und Realisator.
Weitere Informationen gibt es auf seiner Website www.phildaenzer.ch.